28.05.2007Covadonga VerlagAlles über den ersten großen Dopingskandal
Brütende Hitze am gefürchteten Mont Ventoux. Es ist der 13. Juli 1967. Ein Tag, an dem die Tour de France über den kahlen Giganten der Provence führt. Ein Tag, der Bilder liefert, die sich ins kollektive Gedächtnis einbrennen. Unendlich leer ist der Blick von Tom Simpson, dem früheren Weltmeister. Er fährt zickzack, taumelt, stürzt. Ein Mechaniker hilft ihm in den Sattel, schiebt ihn an. Wenige hundert Meter weiter bricht Simpson erneut zusammen. Verzweifelt versucht Tourarzt Dr. Dumas, ihn ins Leben zurückzuholen. Vergeblich. Ein „Cocktail“ aus Alkohol und Amphetaminen, Dehydrierung und Erschöpfung hat den Mann umgebracht, der keine Grenzen akzeptierte. „Die beste Sportbiografie aller Zeiten“, jubelte das Fachblatt Velo über
PUT ME BACK ON MY BIKE, die Tom-Simpson-Biografie von William Fotheringham. Zum 40. Todestag des charismatischen Ex-Weltmeisters erscheint dieses wichtige Buch über den ersten großen Dopingskandal der Radsportgeschichte, vor dem niemand die Augen verschließen konnte, jetzt erstmals in einer deutschen Übersetzung.
Das dramatische Ableben eines bei Kollegen und Publikum höchst populären Radrennfahrers auf einer der berühmtesten Bühnen der Tour de France lähmte die ganze Radsportwelt. Tom Simpsons Tod markierte aber auch einen entscheidenden Wendepunkt in der Geschichte des gesamten Sports. Zwar war Doping bei Radrennen am Tag der Tragödie bereits seit zwei Jahren verboten. Doch wenn sich Topfavoriten, wie bei der WM 1966 geschehen, den Kontrollen entzogen, blieb dies zumeist ohne Sanktionen. Nach dem 13. Juli 1967 war alles anders. Fortan galt, wie der Journalist Geoffrey Nicholson damals schrieb: „Wenn ein Fahrer dopt, kann er erwischt werden. Wird er erwischt, kann er bestraft werden. Und wenn er bestraft wird, kann er nicht erwarten, dass sich die Profikollegen vor ihn stellen.“ Ein weiteres Vermächtnis von Simpson ist der kleine Wohnwagen, der mit der Aufschrift „contrôle anti-dopage“ im Ziel auf die Radprofis wartet. Doch ob Fahrer und Sportliche Leiter, Teampfleger und -ärzte, Fans und Berichterstatter in den vergangenen vierzig Jahren die richtigen Lehren aus dem Fall Tom Simpson gezogen haben, steht in diesen Tagen mehr denn je in Zweifel.
Für dieses Buch hat sich William Fotheringham aufgemacht, um den vielen Spuren zu folgen, die Tom Simpson hinterlassen hat. Er erklimmt den Mont Ventoux, wo der Simpson-Gedenkstein zur modernen Pilgerstätte geworden ist. Er spricht Simpsons Bruder Harry und seinen Jugendfreund George Shaw, mit dem ihn Zeit seines Lebens eine bemerkenswerte Brieffreundschaft verband. Fotheringham erlebt einen außergewöhnlichen Nachmittag mit Simpsons Witwe Helen, der zu einem höchst emotionalen Ping-Pong der Erinnerungen gerät. Er lauscht der Stimme von Dr. Pierre Dumas, der versuchte Tom Simpsons Leben zu retten und doch nur seinen Tod feststellen konnte. Er spricht Teamkollegen wie Colin Lewis, der Simpson als Wasserträger zu Diensten war und ihm noch bei der Anfahrt zum Mont Ventoux aus einer Bar am Straßenrand ein Fläschchen mit Brandy besorgte. Er hört die ergreifenden Schilderungen von Harry Hall, dem Mechaniker, der dem sterbenden Tom Simpson wieder aufs Rad half und seine letzten drei Worte hörte: „Los, los, los.“
So gelingt dem Radsportexperten von Guardian und Observer ein schillerndes, höchst intensives Porträt einer widersprüchlichen, in jeder Hinsicht radikalen Persönlichkeit. William Fotheringham zeichnet ein detailgetreues Sittengemälde des Profiradsports in den sechziger Jahren. Und er liefert eine wundervolle Erklärung, warum Simpsons Legende noch immer so große Anziehungskraft besitzt.
„Simpson sollte als ein impulsiver, intelligenter, redegewandter und äußerst charismatischer Mann in Erinnerung bleiben, der einen einzigen blinden Fleck hatte: seinen unstillbaren Siegeshunger, der ihn antrieb – auf Teufel komm raus“, schließt William Fotheringham aus seinen Recherchen: „Er war kein schlechter oder törichter Mensch. Er war auch keineswegs unprofessionell in seiner Herangehensweise an seinen Sport. Aber er wollte den anderen in nichts nachstehen, auch nicht im Betrügen, und er wurde in der dramatischsten nur vorstellbaren Art und Weise ertappt. Simpson hat nicht mehr gesündigt als viele andere vor und nach ihm auch. Doch anders als für einen Richard Virenque, der zweieinhalb Jahre log, dann alles zugab, seine Dopingsperre absaß und zurückkehrte, um die Herzen der Radsportfans einmal mehr aufzuwühlen, gibt es für Simpson keinen Weg zurück. Das ist seine wahre, seine ewige Tragödie.“
zurück zur Newsübersicht